„Ich habe nichts zu verbergen“ – wirklich nicht?

„Ich habe nichts zu verbergen“ – wirklich nicht?

14. September 2025 14:00 · Datenschutz


Diesen Satz hast du bestimmt schon einmal gehört. Vielleicht hast du ihn sogar selbst gesagt: „Ich habe nichts zu verbergen, also ist es mir egal, was Google über mich weiß.“

Klingt erstmal harmlos. Aber lass uns das mal genauer anschauen.


Was Google wirklich über dich weiß

Wenn du ein Google-Konto hast (und das ist bei den meisten so: Android-Smartphone, Gmail, YouTube, Maps …), dann kannst du dir auf dieser Seite ein Bild machen: 👉 Google My Ad Center

Dort siehst du, wie Google dich einschätzt:

  • Geschlecht
  • Alter
  • Interessen (z. B. „Autos“, „Fitness“, „Mode“)
  • Geräte, die du nutzt
  • Branchen, die dich „anscheinend“ interessieren

Spannend dabei: Das sind nicht unbedingt Daten, die du irgendwo aktiv angegeben hast – sondern das, was Google aus deinem Verhalten berechnet. Bei vielen Nutzern zeigt sich dort sogar das ungefähre Alter, ob Kinder im Haushalt sind oder welche Wohnsituation vermutet wird. Manchmal schmeichelhaft – wenn Google dir zum Beispiel ein Abitur andichtet 😉.

Wenn du diese Profilierung deaktivieren möchtest, kannst du direkt im Ad Center unter „Anpassen“ → „Anzeigenpersonalisierung“ den Schalter ausschalten. Damit stoppt Google nicht das Sammeln von Daten, aber es verhindert, dass Werbung noch stärker auf dich zugeschnitten wird.

Bildschirmfoto

Überraschende Beispiele

Viele denken: „Na und? Ist doch egal.“ Aber schau mal, wie weit das gehen kann – und warum das riskant ist:

Gesundheit Was abgeleitet wird: wiederholte Suchen nach Symptomen, Krankheiten, Medikamenten, Fitness-/Diät-Themen. Warum riskant:

  • Sensible Gesundheitsdaten können – auch wenn nur vermutet – zu Stigmatisierung führen.
  • Intransparente Preisbildung: Versicherungen oder Anbieter könnten Zielgruppen mit höherem Risiko teurer bewerben.
  • Social/Workplace-Leaks: Personalisierte Anzeigen („Depression erkennen“, „HIV-Test“) können auf gemeinschaftlichen Geräten oder am Arbeitsplatz sichtbar werden. Konkretes Szenario: Dein zukünftiger Arbeitgeber schaltet zielgerichtete Anzeigen in Jobportalen mit dem Targeting „Interesse an [Krankheit X]“ – du siehst die Anzeige überproportional oft und fühlst dich adressiert; das Unternehmen bekommt zwar nicht dich namentlich, aber kann so Gruppen subtil selektieren.

Familienplanung Was abgeleitet wird: Interesse an Schwangerschaft, Kinderwunsch, Babyprodukten. Warum riskant:

  • Unfreiwilliges Outing: Werbung verrät Familienpläne Personen in deinem Umfeld, bevor du es willst.
  • Manipulative Angebote: Aggressive Anbieter (Kredite, „Coaching“) nutzen die Situation aus.
  • Daten wandern: Aus Ad-Interessen werden bei Datenhändlern dauerhafte „Segments“. Konkretes Szenario: Du teilst dir den Browser mit dem Partner – plötzlich erscheint überall Werbung für Schwangerschaftstests. Die Überraschung ist dahin, und die Info bleibt als Profilmerkmal bestehen, selbst wenn es sich nicht bestätigt hat.

Finanzen Was abgeleitet wird: Suchen nach „Kredit“, „Schufa“, „Dispo“, „Ratenzahlung“, Krypto. Warum riskant:

  • Teure Zielgruppen: Anbieter von Ratenkäufen oder Kurzzeitkrediten sehen solche Nutzer als besonders lukrativ → mehr Werbung, schlechtere Konditionen.
  • Scams & Phishing: „Schnellkredit in 5 Min“ zielt genau auf diese Profile.
  • Langzeitwirkung: Ein einmal zugeordnetes „Finanzstress“-Interesse kann Monate/Jahre nachwirken. Konkretes Szenario: Du vergleichst Kredite. Danach bekommst du über Wochen nur noch Angebote mit klein gedruckten Effektivzinsen – seriöse Alternativen werden algorithmisch verdrängt.

Job & Karriere Was abgeleitet wird: Besuche auf Jobseiten, „Bewerbungstipps“, „Gehalt verhandeln“, Weiterbildung. Warum riskant:

  • Verhandlungsnachteil: Anbieter erkennen Wechselbereitschaft und spielen dir gezielt „Jetzt wechseln!“-Anzeigen – psychologischer Druck.
  • Retention-Targeting: Auch aktuelle Arbeitgeber können (über Massenkampagnen) unzufriedene Gruppen verstärkt ansprechen oder indirekt adressieren.
  • Falsche Schlüsse: Weiterbildung ≠ Unzufriedenheit – trotzdem kann ein Profil so gelesen werden. Konkretes Szenario: Du recherchierst zu „Gehaltserhöhung“. In den folgenden Tagen bekommst du Werbung für Headhunter mit „Wechseln bringt +20 % Gehalt“ – das beeinflusst deine Entscheidungen, obwohl du vielleicht intern verhandeln wolltest.

Wohnsituation & Kinder im Haushalt Was abgeleitet wird: Mieter vs. Eigentümer, Wohnungsgröße, Umzugsabsichten, „Kinder im Haushalt“. Warum riskant:

  • Preisdiskriminierung: Umzug in Planung? → Höhere Preise für Umzugs-Services/Internet-Tarife.
  • Ziel für aufdringliche Vertriebsmodelle („Küchen jetzt 0 % Finanzierung“).
  • Sicherheits- & Scam-Risiko: Kombination mit Standortmustern kann gezielte Haustür- oder Telefonmaschen begünstigen. Konkretes Szenario: Nach Suchen zu „Hauskauf Nebenkosten“ bekommst du aggressiv beworbene „Beratungen“, die am Ende nur teure Fallen sind, bei denen du deine Daten abgibst, ohne wirklich eine Hilfe zu bekommen. Solche Fallen nennt man oft „Leads“ – deine Kontaktdaten werden gesammelt und an Anbieter weiterverkauft.

Altersgruppe & Geschlecht (vermutet) Was abgeleitet wird: „18–24“, „25–34“, „35–44“ usw., sowie Gender-Schätzung. Warum riskant:

  • Altersbezogene Manipulation: Jüngere Zielgruppen sehen verstärkt „Buy now, pay later“-Angebote.
  • Stereotype Verstärkung: Frauen sehen andere Job-/Finanzanzeigen als Männer – Chancenverschiebung ohne, dass du es merkst. Konkretes Szenario: Als „25–34, weiblich“ bekommst du kaum noch Tech-Weiterbildungen angezeigt, dafür Lifestyle-Abos – dein Blickfeld verengt sich algorithmisch.

Geräte- & Standortmuster Was abgeleitet wird: Pendelstrecken, Arbeitszeiten, Aufenthaltsorte (Fitnessstudio, Klinik, Verein), Nutzungsmuster von Geräten. Warum riskant:

  • Re-Identifikation: Anonymisierte Datensätze lassen sich über Bewegungsmuster oft wieder Personen zuordnen.
  • Kontext-Leaks: Bestimmte Orte verraten sehr viel über dich (Gewerkschaftsbüro, Klinik, Beratungsstelle). Konkretes Szenario: Du deaktivierst Personalisierung – aber ein Datenbroker erkennt dich trotzdem über die Kombination „Heimadresse ↔ Arbeitsweg ↔ Kita“. Besonders eindrücklich hat das einmal ein Vortrag vom Chaos Computer Club (CCC) gezeigt: Im Talk „Databroker Files“ auf dem 38C3 wurde erklärt, wie über Werbeanzeigen und die eindeutige Werbe-ID auf Smartphones Standortdaten abgegriffen und daraus Bewegungsmuster erstellt werden konnten. So ließ sich rekonstruieren, wo Person X arbeitet, zu welchem Arzt sie geht und welche Schule ihre Kinder besuchen. Das wirkt nicht mehr nach harmloser Werbung, sondern nach einem kompletten Bewegungsprofil. Zum Video auf YouTube.

Bildschirmfoto2

Wichtig: Das Gefährliche ist oft nicht ein einzelnes Datum, sondern die Kombination. Aus vielen scheinbar harmlosen Spuren entsteht ein detailreiches Profil, das für Werbung, Preissetzung – und leider auch für Betrugsmaschen – genutzt werden kann.


Kostenlos ist nicht wirklich kostenlos

Viele Dienste von Google sind gratis – Gmail, Maps, YouTube. Aber bezahlt wird trotzdem: mit deinen Daten.

Jede Suche, jeder Klick, jedes Video, das du schaust, ist wertvoll. Google nutzt diese Infos, um dir Werbung anzuzeigen – und verdient damit Milliarden.


Was du tun kannst

  • Dein Profil prüfen: Schau im Google Ad Center nach, welche Interessen Google dir zuschreibt.
  • Einstellungen anpassen: Du kannst Werbung personalisiert ausschalten oder falsche Interessen löschen. (Hier später Screenshot einfügen, um die Einstellung zu zeigen.)
  • Regelmäßig aufräumen: Unter Meine Aktivitäten siehst du, was gespeichert ist – und kannst es löschen.
  • Bewusst entscheiden: Nicht alles muss immer „mit Google“ laufen. Es gibt Alternativen – z. B. andere Suchmaschinen oder Messenger.

Fazit: „Nichts zu verbergen“ heißt nicht „nichts zu verlieren“

Datenschutz ist kein Paranoia-Thema für Nerds, sondern ganz normaler Selbstschutz. Auch wenn du nichts Kriminelles im Schilde führst, hast du Informationen über dich, die sensibel sind – und die du nicht jedem geben würdest.

Am Ende geht es nicht darum, sich völlig zu verstecken, sondern bewusst zu entscheiden, was man preisgibt – und was nicht. Eine Möglichkeit ist, im Alltag statt Google auch einmal auf datenschutzfreundlichere Suchmaschinen wie DuckDuckGo oder Startpage zurückzugreifen. So behältst du mehr Kontrolle über deine Spuren im Netz.


Weiterführende Tipps & Links

  • Google Dashboard → Übersicht über alle Dienste, die mit deinem Konto verbunden sind.
  • Google Takeout → Lade dir alle Daten herunter, die Google über dich gespeichert hat.
  • YourOnlineChoices → Kontrolliere, welche Werbenetzwerke dich tracken.
  • Have I Been Pwned → Prüfe, ob deine Mailadresse schon einmal in einem Datenleck aufgetaucht ist.

Schlussgedanke

„Ich habe nichts zu verbergen“ klingt oft so, als sei Datenschutz nur für Kriminelle relevant. In Wahrheit schützt er aber uns alle – vor Manipulation, vor finanziellen Nachteilen und vor dem Gefühl, völlig durchsichtig zu sein. Ein bewusster Umgang mit den eigenen Daten ist kein Misstrauen gegen Technik – sondern gesunder Selbstschutz.

*Titelbild KI generiert!

0 💬 0 🔁 0 ⭐